Politik

Ein Verbot löst sich in Rauch auf

Zigarettenrauch ist höchst giftig, sein „Genuss“ aber gesellschaftlich akzeptiert und auch die Verpestung geschlossener öffentlicher Räume immer noch erlaubt. Wie dieser irrsinnige Gegensatz weiter aufrecht erhalten wird, gerät zum Lehrstück des deutschen Föderalismus.

Wayne McLaren wäre wohl ein scharfer Kritiker des bundesdeutschen Föderalismus – wenn er denn noch leben würde. McLaren, besser bekannt in seiner Rolle als freiheitsliebender Cowboy im Auftrag einer großen amerikanischen Zigarettenfirma, starb mit 51 Jahren an Lungenkrebs, als entschiedener Tabakgegner. Zu seinem späten Erbe gehört wohl auch, dass die Stadt New York City im Frühjahr 2003 – unter einiger Beachtung hierzulande – ihren Bürgern das tödliche Qualmen in allen Bars, Clubs und Restaurants ausnahmslos verbot.

Thank you for not smoking!

Was in den USA bis heute auf kommunaler oder allenfalls auf Ebene der Bundesstaaten geregelt wird, sollte in Deutschland sinnvoller Weise für alle Bürger gleich gelten – so zumindest der Plan. Schließlich ist Rauch überall gleich schädlich, in Flensburg wie am Bodensee. „Das Nichtrauchen muss in der Öffentlichkeit der Normalfall werden!“ forderte dementsprechend Marion Caspers-Merk im Spätsommer 2003 als damalige Drogenbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung und trat für einen bundeseinheitlichen Nichtraucherschutz ein: strikte Rauchverbote etwa in Schulen, Krankenhäusern und Behörden, Nichtraucherzonen als Standard für die Gastronomie. Ihre Initiative stieß auf breite politische Zustimmung, aus der Bundesregierung wie aus dem Bundestag.

Landespolitiker in hohen Regierungspositionen aus Bayern bis Nordrhein-Westfalen, denen die hohen volkswirtschaftlichen Kosten und die späte Einsicht vieler todkranker Raucher wohl sehr gut vertraut waren, gingen noch weiter: „Mein Ziel ist eine möglichst rauchfreie Gesellschaft – von der rauchfreien Schule bis zur rauchfreien Gaststätte“ erklärte etwa Eberhard Sinner, zu dieser Zeit bayerischer Gesundheitsminister. Zahlreiche Ministerpräsidenten aus allen Lagern stimmten zu und forderten ein entsprechendes Bundesgesetz. Denn, so die damalige Kalkulation, trüge der Bund die Verantwortung, stünde die Landespolitik nicht im Zentrum wütender Kritik.

Der stinkende Atem der Föderalismusreform

Die Debatte um ein deutschlandweites, absolutes Rauchverbot wurde von der Föderalismusreform I allerdings jäh erstickt: Ab September 2006 ging das Gaststättenrecht vollkommen auf die Länder über, die Gesetzesinitiative des Bundes blieb stecken und selbst die Kanzlerin konnte nicht mehr tun, als hilflos für eine Vereinbarung im Sinne der Nichtraucher zu werben. Die Kompetenzverlagerung war verhängnisvoll. Während ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden weitgehender Konsens war, zeigten sich die Landesregierungen jedoch hellhörig für die apokalyptischen Warnungen seitens der Zigarettenindustrie und Gastwirtschaft vor Kneipensterben, Steuerrückgang, Arbeitsplatzabbau und Kulturverfall. Hinzu kam der föderalistische Wettbewerb: Qualmliberalismus wurde zum Standortfaktor. Zwar konnten sich die Länder im März 2007 auf ein weitgehendes Rauchverbot in Gaststätten einigen – allerdings erkämpften insbesondere Hessen und Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, Ausnahmen zu erlauben. „Einheitlicher Nichtraucherschutz scheitert am Föderalismus“ titelte die Süddeutsche Zeitung im Anschluss prophetisch.

Der weiß-blaue Dunst

Die Republik verwandelte sich in einen Flickenteppich. So erlaubten die meisten Bundesländer ihren Gastwirten nicht nur die Einrichtung von Raucherräumen. Zudem taten sich hier und dort noch diverse Schlupflöcher und Ausnahmen auf: In sogenannten Raucherclubs, angeblich geschlossenen Gesellschaften, Jahrmarktzelten und manchen inhabergeführten Gaststätten waberte weiter der blaue Dunst, in den meisten Eckkneipen allerdings nicht. „Unfair!“ befand das Bundesverfassungsgericht im Juli 2008, denn es sah die „getränkegeprägte Kleingastronomie“ durch die uneinheitlichen Regelungen benachteiligt, weil diese häufig keine Ausweichmöglichkeiten für Raucher einrichten könnte. Die Folge: Überall wurde das Rauchen in Bars und Kneipen mit einer Größe von bis zu 75 Quadratmetern wieder erlaubt. Deutschland, einig Raucherland. Besonders deutlich zeigte sich in Bayern, wie abhängig Gesundheitsschutz von kurzfristigen Stimmungen sein kann. Zum 1. Januar 2008 trat im Freistaat das bis dahin schärfste aller Rauchverbote in Kraft, das keine Ausnahmen erlaubte: Selbst in den berühmten Bierzelten auf den Wies‘n sollte nicht mehr geraucht werden. Doch schon im September drehte der Wind. Die CSU identifizierte ihr Rauchverbot als Grund für ihre verheerende Wahlschlappe bei der Landtagswahl und unternahm eine abrupte Kehrtwende, obwohl die strenge bayerische Gesetzgebung noch im August 2008 vom selben Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß beurteilt worden war. Seitdem wird auch in Bayern wieder gequalmt – in allen Festzelten und in Nebenräumen der Wirtshäuser, vor allem aber in allen kleineren Gaststätten.

Vietato fumare!

Dass es auch anders gehen kann, beweist das Beispiel Italien. In dem Land, das nicht gerade für ein außerordentliches Gesundheitsbewusstsein bekannt ist, gilt seit Januar 2005 ein ziemlich striktes und landesweit einheitliches Rauchverbot. Von einem Kneipensterben wird nicht berichtet, dafür aber von einem erheblichen Rückgang der Zigarettenverkäufe: Scusi, Signore Philippe Morris! Verschiedene Studien belegen zudem, dass die Zahl der Herzinfarkte deutlich gesunken ist, was das Rauchverbot mittlerweile als eines der erfolgreichsten Gesetze der Regierung Berlusconi gelten lässt. Doch, Moment – hat Italien nicht ein zentralstaatliches Regierungssystem? Ein Schelm, der hier einen Zusammenhang herstellt.

Sofa oder soziale Kontakte?

Im föderalistischen Deutschland hat sich jedenfalls nicht viel geändert. Aus einigen Werbeformaten verbannt, geben Tabakkonzerne ihre Werbemillionen eben an anderer Stelle aus und pflegen ihr jugendliches und rebellisches Image. Mit den Warnhinweisen auf Packungen wird munter kokettiert, von einer Ächtung des Rauchens ist die Gesellschaft immer noch weit entfernt. Eltern rauchen häufiger als kinderlose Paare, während viele Jugendliche nach wie vor in erschreckend jungem Alter ihre ersten Zigaretten konsumieren. Der Triumph über das einstmals drohende Verbot wird derweil regelrecht zelebriert: Die erwachsenen Raucher frönen fröhlich weiter in unzähligen Gaststätten ihrem Selbstmord auf Raten, während Nichtraucher sich entscheiden können – Sofa oder soziale Kontakte? Denn das Argument, Nichtraucher könnten sich einfach von Rauchern fernhalten, ist mindestens so hanebüchen wie der Hinweis, man solle doch bitte umziehen, wenn Feinstaub oder Fluglärm das Leben schwer machen.

Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht doch im Sommer 2008 den Weg zu einem einheitlichen Gesundheitsschutz gewiesen. Da „mit dem Passivrauchen schwerwiegende gesundheitliche Risiken verbunden“ seien, dürfe der Staat seine Bürger auch mit Mitteln schützen, die das Grundrecht der Berufsfreiheit „empfindlich“ einschränkten. Allerdings – und das ist der springende Punkt – müsse dann ein „striktes, ausnahmsloses“ Rauchverbot verhängt werden, um kleinere Gaststätten eben nicht mehr zu benachteiligen. Es besteht also noch Hoffnung. In Bayern haben Passivraucher mit überwältigendem Erfolg für Juli 2010 einen Volksentscheid über das neue, raucherfreundliche Nichtraucherschutzgesetz erstritten. Und im kleinen Saarland hat das Jamaika- Experiment von CDU, FDP und Grünen jüngst kurzerhand ein absolutes Rauchverbot verabschiedet.

Was lässt sich aus dieser föderalen Erfolgsstory lernen – dass amerikanische Kommunalpolitiker mehr Rückgrat besitzen als deutsche Ministerpräsidenten? Dass die Jamaika-Koalition ein Zukunftsmodell darstellt? Oder dass etwa zentralstaatliche Zuständigkeit die Lösung allen Übels ist? Was Wayne McLaren antworten würde, ist wohl eindeutig. Der ehemalige Tobacco-Cowboy hatte seinen letzten öffentlichen Auftritt in einem TV-Spot, der Bilder vom Krankenbett mit verräucherten Eindrücken aus Prärie und vermeintlicher Freiheit kontrastierte. Die Zuschauer wurden gefragt: „Lying there with all those tubes in you, how independent can you really be?“ Frei übersetzt: Was bringt die föderalistische Unabhängigkeit, wenn sie den Großteil ihrer Bevölkerung ungewollt im giftigen Rauch stehen lässt?

[Leicht erweiterte Version eines Artikels, der ursprünglich erschienen ist im HAMMELSPRUNG Magazin, Ausgabe 2/Frühjahr 2010, S. 41-42, Link zum PDF.]

[Foto: doka79/flickr.com]

über

Alex von F. ist ein Grafik-Designer und Web-Entwickler. Ursprünglich ein Düsseldorfer Jong, heute in Berlin-Schöneberg ansässig.

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