Farblich verfremdete Nachtaufnahme einer Unfallsituation. Keine sichtbaren Menschen, aber ein beschädigtes Fahrrad im Vordergrund, im Hintergrund ein Auto.
Elterndasein

Nie in den Mund fassen – überraschende Erkenntnisse aus einem Erste-Hilfe-Kurs

Was tun im Notfall? Bislang war ich buchstäblich ziemlich hilflos. Höchste Zeit, etwas gegen diesen Leichtsinn zu unternehmen.

Ich habe kürzlich einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert – den ersten in meinem Leben. Meinen Führerschein habe ich in den USA erworben und konnte diesen prüfungsfrei in eine deutsche Fahrerlaubnis umschreiben lassen – also nicht einmal auf diese Basiskenntnisse hätte ich im Fall der Fälle zurückgreifen können. So habe ich mich bislang zum Glück ziemlich unfallfrei, aber gleichzeitig auch sehr unwissend durchs Leben bewegt, was die Erstversorgung von Menschen in Notfällen angeht. Höchste Zeit also, diesen fahrlässigen Leichtsinn zu beenden – zumal die Wahrscheinlichkeit offenbar am höchsten ist, dass ich mal Mitglieder meiner eigenen Familie oder mir nahestehende Menschen im Notfall versorgen muss.

Der Kurs hat mich ziemlich beeindruckt und ich habe enorm viel daraus mitnehmen können. Einige der überraschendsten Erkenntnisse möchte ich hier einmal festhalten – als eigene Erinnerungsstütze, aber vielleicht auch hilfreich für den einen oder die andere?

Veranstalter des Kurses war das Rote Kreuz, eingesprungen als Kursleiter war ein junger Kinderchirurg, der auch als Notarzt tätig ist und unmittelbar aus der Praxis berichtete, mit trockenem Humor, zum Teil brutal ehrlich und sehr eindrücklich. Mein Fazit nehme ich schon vorweg: In einer solidarischen Gesellschaft sollte eigentlich jeder Mensch (regelmäßig) solche Kurse machen – oder sogar machen müssen?

Hier jedenfalls einige Erkenntnisse, die wohl so zum Teil auch nicht in entsprechenden Leitfäden auftauchen.

Gefährliche Airbags – Hilfe und Selbstschutz bei Autounfällen

Als Ersthelfer bei Autounfällen muss ich verschieden Maßnahmen unternehmen, um mich selbst zu schützen. Zum einen nicht etwa am Rand parken, sondern mit meinem eigenen Auto in großzügigen Abstand die Unfallspur absperren, damit nachfolgender Verkehr nicht in die Unfallstelle hineinrast. Mit Sicherheitsweste – die sich im Idealfall im Handschuhfach befindet – stelle ich das Warndreieck auf und nähere mich dann erst dem Unfallauto (Bonustipp: Die Tasche des Warndreiecks lege ich auf meinen eigenen Fahrersitz, damit ich das Dreieck später nicht an der Unfallstelle vergesse).

Das erste Gebot ist dann, alle Personen aus dem Unfallfahrzeug herauszuholen. Hierbei darf ich aber niemals den eigenen Kopf und Oberkörper in den Innenraum halten. Warum? Airbags können verspätet oder durch die eigene Manipulation am Unfallauto ausgelöst werden, sind aber nur für die Fahrzeuginsassen ausgelegt. Würde ich nun meinen eigenen Kopf in den Raum zwischen Lenkrad und der Person auf dem Fahrersitz halten, und der Airbag würde in diesem Moment auslösen, dann würde mein eigener Körper derart beschleunigt und auf die verunfallte Person katapultiert werden, dass es für uns beide tödliche Konsequenzen haben könnte.

Farblich verfremdete Nahaufnahme eines Auto-Armaturenbretts mit ausgelöstem Airbag.

Wie geht es anders? Ich öffne die Tür, gehe neben dem Auto in die Knie und greife am unteren Bauch entlang zum Anschnaller, und unter dem Lenkrad hindurch zur Zündung. Lässt sich die verunfallte Person dann bewegen, so drehe ich sie aus dem Auto heraus auf mein Knie bzw. Oberschenkel, greife von hinten mit beiden Händen einen Unterarm und schleppe die Person vom Auto weg. Wichtiger Hinweis auch hier: Die Daumen zeigen (und drücken) hierbei nicht auf den Bauch der Person, sondern zeigen nach vorn. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass ich die Person innere Verletzungen zufüge, wenn ich ihr beim Schleppen meine Daumen in den Bauch bohre.

Nie in den Mund fassen

Sehr eindrücklich schärfte uns der Ausbilder ein, Personen in Notfallsituationen niemals in den Mund zu fassen. Menschen können in Extremsituation wie Bewusstseinsverlust, Schmerzzuständen oder epileptischen Anfällen unkontrollierte Bissreflexe haben – und „diese halbverdauten Finger lassen sich dann immer so schwer wieder annähen“, so der Ausbilder. Und das saß, natürlich.

Mögliche Blockaden im Mundinnenraum können vielmehr durch Überstreckung des Halses gelöst werden. Abhilfe bei Erstickungssituationen schaffen hingegen harte Schläge zwischen die Schulterblätter und das Heimlich-Manöver.

Was ist wirklich ein „Schock“?

Unser Ausbilder sensibilisierte zudem dafür, das Wort „Schock“ nur sehr gewählt einzusetzen, wenn es etwa um die Meldung eines Unfalls an den Notruf geht. Im Alltagssprachgebrauch wird Schock inflationär dafür verwendet, die psychische Reaktion auf extreme Situationen zu beschreiben. Diese mentale Überforderungssituation ist jedoch eine akute Belastungsreaktion, während ein Schock im medizinischen Sinne vielmehr eine lebensbedrohliche Kreislaufstörung und eine Sauerstoffunterversorgung darstellt. Schocks können sich etwa durch extremen Blutverlust, Verbrennungen, Allergien oder Infarkte einstellen und äußern sich durch Symptome wie Herzrasen, schnelle Atmung, Angstzustände und eine kalte, blasse Haut.

Diese begriffliche Genauigkeit ist vor allem beim Absetzen eines Notrufs wichtig: So werden in Berlin, aber auch anderswo eingehende Notrufe in Echtzeit durch eine Spracherkennungssoftware ausgewertet. Bei bestimmten Begriffskombinationen werden automatisch nicht nur Krankenwagen, sondern auch Notärzt*innen alarmiert. Möglichst zielgerichtete Alarmierungen sind jedoch essenziell für eine ausreichende Notfallversorgung, da in der Vier-Millionen-Stadt Berlin lediglich neunzehn Notärzt*innen zeitgleich im Dienst sind.

Farblich verfremdete Nahaufnahme des oberen Teils eines Krankenwagens, mit Blautlicht, Martinshorn und der Aufschrift „Berufsfeuerwehr“.

Wann wähle ich die 112?

Ich war vor kurzem in der Situation, dass sich eines meiner Kinder an einem Sonntag im Wald mit seinem Schnitzmesser verletzt hat. Es war fern einer lebensbedrohlichen Situation, aber die Blutung war schon ziemlich stark und es war schnell klar, dass wir die Wunde nicht selbst adäquat versorgen konnten. Nach einer etwas abenteuerlichen Taxisuche haben wir uns dann in das nächstgelegene Krankenhaus fahren lassen, nur um vor Ort zu erfahren, dass dort keine Kinder behandelt werden und wir in ein anderes Krankenhaus fahren mussten. Diesen Irrweg hätten wir uns mit einem kurzen Anruf bei der Notfallstelle sparen können, wo wir nicht nur Tipps zur Erstversorgung bekommen hätten, sondern auch zum passenden Krankenhaus geleitet worden wären – denn schon längst bieten nicht alle Krankenhäuser eine Vollversorgung in allen Disziplinen an. Zudem hat die Notrufzentrale auch den Überblick, welche Notaufnahmen überhaupt aufnahmebereit sind.

Generell riet der Kursleiter, den Notruf im Zweifel lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zu wählen. Die Fachleute auf der anderen Seite der Leitung könnten die Gefahrenlage viel besser einschätzen als man selbst, und im Ernstfall die Erstversorgung mit konkreten Hinweisen und Anleitungen unterstützen. Ich habe bislang nur ein einziges Mal den Notruf gewählt. Im Rückblick fallen mir aber einige Situationen ein, in denen es vollkommen gerechtfertigt, wenn nicht sogar geboten gewesen wäre. Hier werde ich in Zukunft weniger zurückhaltend sein.


Wie sind deine Erfahrungen – hast du schon einmal Erste Hilfe geleistet? Wie lange liegt dein letzter Kurs zurück? Fühlst du dich gewappnet? Sollten Erste-Hilfe-Kurse zur Pflicht werden? Schreib’s in die Kommentare!

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