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Pizza-Air-Tests in der digitalen Steinzeit: unsere Corona-Experience

Wir hatten jetzt auch mal dieses COVID-19. Ein kurzer Erfahrungsbericht und eine Kritik dessen, was im zweiten Pandemiejahr immer noch alles schiefläuft.

Uns hat’s erwischt. Zwei Wochen vor den rettenden Weihnachtsferien, eine Woche vor dem Booster-Termin und mit den Kinder-Impfungen in greifbarer Nähe. Wir hatten uns ziemlich streng an alle Auflagen gehalten, in der vierten Welle unsere Kontakte noch einmal stark reduziert. Und dann das.

Mittlerweile sind wir genesen und wieder im Alltag angekommen – aber einige unserer Erfahrungen möchte ich hier festhalten und teilen.

Das Schnelltest-System funktioniert (irgendwie)

Die Infektion wurde als Erstes bei unserer älteren Tochter entdeckt – und zwar mittels eines Schnelltests in der Grundschule. Dreimal pro Woche musste sich unsere Tochter zuletzt wieder morgens in der Schule selbst testen – am 10. Dezember schlug ihr Test positiv aus. Ihr Schock war groß: Seit fast zwei Jahren steht ihre Welt kopf, die Erwachsenen jagen ihr Angst ein und im Radio wird über kaum etwas anderes geredet, und jetzt soll dieser unsichtbare Dämon sie tatsächlich heimgesucht haben? Noch während wir auf das Ergebnis des PCR-Tests warteten, haben wir zwei weitere Schnelltests gemacht. Einen im Mundraum, der negativ war, und einen in der Nase, der erneut positiv ausfiel.

Wir haben nach dem ersten positiven Schnelltest unsere zwei jüngeren Kinder umgehend aus der Kita genommen und uns isoliert. Auch als direkte, familiäre Kontaktpersonen unserer PCR-positiven Tochter hatten wir hier in Berlin allerdings keinen unmittelbaren Anspruch auf kostenlose PCR-Tests, ohne selbst einen positiven Schnelltest vorweisen zu können. Wir Eltern waren als geimpfte Kontaktpersonen noch nicht einmal verpflichtet, in Quarantäne zu gehen. Hat der Berliner Senat schon mitbekommen, dass es etwa in Österreich überall verfügbare, kostenlose PCR-Tests zum Selbermachen gibt?

In Berlin ist das offensichtlich anders, also haben wir haufenweise Schnelltests gekauft und uns fröhlich weiter selbst getestet, bis die Tests dann nach einigen Tagen positiv ausschlugen. Diese mussten wir dann in der landeseigenen Teststellen tatsächlich in physischer Form vorlegen, um dann dort kostenlose PCR-Tests machen zu können.

Unseres Wissens nach haben wir die Infektion nicht weitergetragen – die regelmäßige Testung hat dies verhindert, denn die Kinder hatten so gut wie keine Symptome und hätten ohne die Tests weiter Schule und Kita besucht und dort womöglich andere Kinder angesteckt.

Die PCR-Tests hießen in unserem Familiensprachgebrauch dann übrigens bald „Pizza-Air-Tests“, die mal lieber schön „megativ“ ausfallen sollten. 🍕

Fun fact: selbst eineiige Zwillinge infizieren sich nicht unbedingt gleichermaßen

Obwohl wir dann über zwei Wochen in der Quarantäne eng zusammen waren, haben sich nur wir Eltern, das achtjährige Kind und eines der fünfjährigen Zwillingskinder infiziert. Das andere Zwillingskind haben wir täglich selbst und auch einmal per PCR-Test getestet, aber es blieb durchweg negativ. Die Zwillinge sind eineiig und damit genetisch (nahezu) identisch, aber offenbar spielten hier noch weitere Faktoren hinein, über die wir nur spekulieren können. (Gibt’s dazu schon Studien?)

Das Gesundheitsamt befindet sich noch in der digitalen Steinzeit

Das für uns zuständige Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg in Berlin hat uns drei Tage nach dem Vorliegen des ersten positiven PCR-Testergebnisses per E-Mail kontaktiert. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt natürlich schon alle denkbaren Kontaktpersonen alarmiert.

Die E-Mail vom Gesundheitsamt mit dem Betreff „Quarantäneinformationen und Bescheinigungen“, die die persönliche E-Mail-Adresse eines Mitarbeiters als Absender trug, hatte vier Anhänge: eine amtliche Verfügung zur Isolation/Quarantäne, eine Genesenenbescheinigung, einen Datenerfassungsbogen zur Infektion sowie einen Erfassungsbogen für die Kontaktnachverfolgung.

Der Datenerfassungsbogen zur Infektion war ein PDF, das am Computer bzw. im PDF-Reader nicht einfach ausgefüllt werden konnte. Mit meinem beruflichen Hintergrund war es mir zwar möglich, das PDF am Rechner zu bearbeiten, aber für die meisten Menschen geht kein Weg daran vorbei, das Formular auszudrucken, per Hand auszufüllen und dann wieder einzuscannen bzw. abzufotografieren. Datenerhebung like it’s 1999.

Ich musste mir die Mitarbeitenden des Gesundheitsamts vorstellen, wie sie die so erhobenen Daten mühsam auf schlechten Handyfotos entziffern und per Hand in irgendwelche Datenbanken eingeben müssen. Warum wird denn am Ende des zweiten Pandemiejahres immer noch mit derart vorsintflutlichen Methoden gearbeitet? Warum gibt es keine Online-Plattform, auf der ich über eine verschlüsselte Verbindung meine Daten angeben kann, anstatt sie in maschinenunlesbarer Form als unsichere, virtuelle Postkarte (=E-Mail) zu verschicken? Was für eine unglaubliche Ressourcenverschwendung. Aber die Dokumente werden offenbar tatsächlich gelesen, denn auf Basis meiner Angaben im Datenerfassungsbogen wurden mir ein neuer Genesenennachweis zugeschickt.

Die Vorlage für die Kontaktdatennachverfolgung war nicht besser: eine Tabelle in einer querformatigen Word-Datei, die auch per E-Mail zurückgeschickt werden sollte, und in der so lustige Sachen wie der Impfstatus der Kontaktpersonen abgefragt wurden – und zwar inklusive Impfdatum und Impfstoff. Auf der zweiten Seite war dann wiederum im Hochformat, also für den Betrachter um 90 Grad gedreht, eine Bilddatei mit einer Anleitung eingebettet, wer alles als Kontaktpersonen gilt. Was soll denn bitte ein blinder Mensch mit diesem Schrott anfangen? Von Inklusion und digitaler „Barrierefreiheit“ konnte hier also keine Rede sein, aber auch eine Datenschutzerklärung suchte ich vergebens. Wir sollten also sensible (Gesundheits-)Daten aller unserer potenziellen Kontakte in einer offenen Word-Datei mit einer unverschlüsselten E-Mail verschicken, ohne dafür die Einwilligung zu haben? Das haben wir uns dann mal gespart, wir hatten ja eh schon alle benachrichtigt.

Screenshot einer offenen Word-Datei, mit querformatigen Tabelle für Erfassung von Kontaktdaten und Impfstatus sowie eine um 90 Grad gedrehte Bilddatei mit einer Anleitung.
Erfassungsbogen für Kontaktpersonen – digitale Pandemiebekämpfung at its best

Und was machen eigentlich Menschen, die keinen Laptop und Drucker haben? Und diejenigen, die einfach nicht (ausreichend) Deutsch verstehen? Ein digitales Trauerspiel in diesem ach-so-fortschrittlichen Deutschland.

Dem Gesundheitsamt zugutehalten lässt sich allerdings, dass wir auf eine E-Mail mit einer Frage unsererseits sehr schnell eine Antwort bekamen.

We got by with a little help from our friends

Wir hatten Glück. Die noch ungeimpften Kinder hatten so gut wie keine Symptome, wir doppelt geimpften Eltern waren schon ganz schön angeschlagen: Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, Nebenhöhlendruck, Schlappheit. Das übliche Programm und nicht angenehm, aber glücklicherweise kein (hohes) Fieber und keine Atemnot. Der zeitweise, komplette Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns war ziemlich merkwürdig, aber insgesamt war es mit ein wenig Schmerzmitteln ganz gut auszuhalten. Was wäre aber gewesen, wenn es uns richtig schlecht gegangen wäre? Wer hätte sich unserer infizierten Kinder angenommen? Was für ein Trauma wäre das bloß für sie gewesen?

Unsere Kinder haben die Quarantäne augenscheinlich gut überstanden. Exzessives Basteln, Lego-Bauen, Vorlesen, Kuscheln, Hörspielhören, Fußballspiele im Flur sowie der ein oder andere Spielfilm ließ die Zeit irgendwie vergehen. Das Wetter draußen war eh ziemlich mies, und wir haben das Privileg, eine große Wohnung zu haben. Aber der Bewegungsmangel machte sich schon bemerkbar, und die Sehnsucht nach den Freund*innen war groß.

Wir hatten zudem das Glück, von einem breiten Support-Netzwerk aufgefangen zu werden. Was wurde alles vor unsere Wohnungstür getragen: Essen, Post, Spielzeug, Bücher, Weihnachtsgeschenke und sogar eine Ersatz-Spülmaschine, nachdem unser Geschirrspüler passenderweise mit Beginn der Quarantäne den Geist aufgegeben hatte. Viele aufmunternde Worte gab es noch obendrauf, Weihnachtslieder sangen wir an Heiligabend gemeinsam vom Balkon. Für diese Unterstützung – weitaus mehr als a little help – sind wir sehr dankbar.

Auf viel Verständnis bin ich auch bei meinen Auftraggeber*innen gestoßen: Zwei voll verplante Arbeitswochen lösten sich auf einmal in Luft auf, vieles musste verschoben werden, es war alles kein großes Problem.

Was aber ist mit alleinstehenden und eher isoliert lebenden Menschen? Mit psychisch oder physisch beeinträchtigten Menschen? Diese Krankheit, aber auch die weitreichenden Implikationen einer Infektion sind nun wirklich kein Scherz. Wir könnten schon so viel weiter sein, aber dank des ignoranten Opportunismus’ der Politik und der so unerklärlichen wie unerträglichen Querschwurblerei wird uns diese Pandemie noch lange beschäftigen.

Und die Moral von der Geschicht’…

Wir hatten Glück und sind privilegiert. So lässt sich eine COVID-19-Erkrankung gut überstehen. Das ganze System stößt aber ganz schnell an seine Grenzen: Für Menschen etwa, die keine Selbsttests bezahlen können, kein Deutsch sprechen, nicht die erforderliche technische Ausstattung haben, allein beziehungsweise isoliert leben, körperlich und/oder mental beeinträchtigt sind, oder in beengten oder prekären Wohnverhältnissen leben, kann die Geschichte ganz anders aussehen. Ganz zu schweigen natürlich von Menschen mit Vorerkrankungen und anderen Risikofaktoren.

Also: Impfen lassen, Maske tragen, Abstand halten, regelmäßig testen und solidarisch miteinander sein. Nur gemeinsam schaffen wir das. 💪


Erzähle es mir in den Kommentaren: Wie war deine Corona-Experience? Wie ist dein Gesundheitsamt aufgestellt? Was hat dir durch die Quarantäne geholfen?

2 Kommentare zu “Pizza-Air-Tests in der digitalen Steinzeit: unsere Corona-Experience

  1. Puh das hört sich in Berlin wirklich steinzeitlich an… uns hat’s hier in NRW zum Glück nur indirekt erwischt. Da wir trotz ständiger Selbsttest an Weihnachten omikron-Kontakt hatten, heißt es zwei Wochen Quarantäne für alle. Egal ob geimpft, geboostert oder nix davon. Der betroffene Teil der Familien ist nun nach einer Woche komplett durchseucht (trotz Booster) aber soweit wohlauf.

    Positiv war der sehr zügige, und freundliche telefonische Kontakt vom Gesundheitsamt. Es wurden direkt alle Kontaktpersonen angerufen und nach 5 Tagen (da wussten wir noch nicht, dass es Omikron ist) ein kostenloser PCR Test vereinbart. Bei Omikron gelten jedoch verschärfte Regeln. Nun bekommen wir zu Beendung der Quarantäne einen erneuten kostenlosen PCR Test und die rücken sogar extra zu uns aus (lohnt sich auch… die ganze Familien unter einem Dach). Jetzt heißt es Daumen drücken, dass die betroffen keine Langzeitfolgen haben.

    Aber was geht es uns gut. In einer mehrzimmer Wohnung, Zugang zum Garten und der Möglichkeit alle Einkäufe zur Not online zu tätigen. Ich kann mit kaum vorstellen, wie man das gegebenenfalls alleine mit Kindern ohne Netzwerk schaffen soll.

    Ich bin froh, dass es euch wieder gut geht 🙂

    • Hallo Eva,

      lieben Dank für deinen Kommentar! Tut mir leid, dass es euch auch erwischt hat – aber gut, dass offenbar eher glimpflich ausgegangen ist.

      Eure Erfahrung mit dem Gesundheitsamt klingt in der Tat besser. Ich bin mir sicher, dass auch in Berlin die Mitarbeitenden sehr engagiert sind und alles nötige unternehmen, um die Pandemie in den Griff zu kriegen. Aber ich finde es echt ärgerlich, wie Entscheidungsträger*innen mit den begrenzten Ressourcen umgehen. Zumal es hier doch sicherlich schon Lösungen gibt, die doch übernommen werden könnten – ich kann mir kaum vorstellen, dass deutschland- und europaweit alle Gesundheitsämter und zuständigen Stellen ihre Zeit damit vergeuden, fiebrige Kritzeleien auf Handy-Fotos zu entziffern. 🤷

      Alles Gute euch!

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