Politik

Yes, he still can

Barack Obama sucht auch im Amt den direkten Kontakt zu seinen Bürgern: Im Namen einer transparenten Regierungsführung, aber auch zur Durchsetzung seiner umstrittenen politischen Vorhaben.

„Dear Susan, I need your voice on health care.“ Susan Danes ist 43 Jahre alt, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, wohnt in Hartford im US-Bundesstaat Connecticut und hat einen Teilzeitjob in der Buchhaltung eines Großhändlers für Autoersatzteile. Sie klickt auf den Link in der E-Mail, die ihr Präsident Barack Obama gerade geschickt hat und gelangt so zum Health Care Action Center, einem interaktiven Portal auf der Webseite MyBarackObama.com. Dort wird sie von einem eindringlichen Video-Appell ihres Präsidenten begrüßt: Eine umfassende Reform des Gesundheitssystems ist längst überfällig, so Obama. Eine Vielzahl von Optionen stehen ihr offen – nach Eingabe ihrer Postleitzahl etwa erscheinen die Telefonnummern der Kongressabgeordneten aus Hartford, mit einem Klick wird Susan über Skype mit einem der Büros verbunden. Ein detailliertes Skript mit zahlreichen Argumenten für die geplante Reform auf dem Bildschirm vor ihr führt sie durch das Gespräch, am Anfang der deutliche Hinweis „Be polite, respectful and clear“. Nach einem kurzen, aber intensiven Wortwechsel mit der Mitarbeiterin des konservativen Abgeordneten, in dem sie deutlich ihre uneingeschränkte Unterstützung zu den Reformplänen des Präsidenten zum Ausdruck bringt, tippt Susan anschließend noch ein kurzes Feedback zu ihrem Gespräch in ein selbsterklärendes Datenbankformular ein und lehnt sich zufrieden zurück.

Politische Partizpation 2.0?

Die Situation erinnert stark an den hierzulande vielzitierten Online-Wahlkampf des neuen US-Präsidenten. Mittlerweile gilt allerdings als gesicherte Erkenntnis, dass nicht allein das Internet, sondern vielmehr eine geschickte Kombination von traditionellen Wahlkampfelementen mit neuen Mobilisierungs- und Partizipationsformaten den Wahlsieg gebracht hat. Virtuelles Schlachtschiff des Wahlkampfs war das Portal MyBarackObama.com, auf dem sich 13 Millionen US-Amerikaner in einem eigens geschaffenen Social Network vernetzten und sich zu diversen Unterstützungsmaßnahmen für ihren Kandidaten organisierten: Eine halbe Milliarde Spendendollar wurden online gesammelt, buchstäblich Millionen von Anrufen und Hausbesuchen bei Wählern geleistet, Hunderttausende von Support Rallies geplant und durchgeführt – alles datenbankgestützt und in engem Kontakt mit der Kampagnenführung. Ein äußerst machtvolles Werkzeug, dessen Anwendung in Deutschland bekannterweise großen Widerhall gefunden hat. Wenig Beachtung findet in der hiesigen Berichterstattung jedoch die Frage, ob Obama das enorme Momentum aus dem Wahlkampf ins Amt überführen konnte – und vor allem, wie?

Kampagnenkommunikation wird zu Regierungskommunikation

Die Wahl Obamas wird euphorisch gefeiert, doch schnell wird deutlich, dass der junge Präsident auch im Amt nicht auf seine Anhänger in North Carolina, Kansas und Arizona verzichten kann, um seine Botschaft vom Change in Washington Wirklichkeit werden zu lassen. Vor allem bei der Umsetzung umstrittener innenpolitischer Vorhaben wie der Gesundheitsreform sieht Obama sich heftigem Gegenwind ausgesetzt. Kurzerhand wurde sein Wahlkampfnetzwerk in eine neue Organisation überführt: Organizing for America, kurz OFA. Diese mit der Democratic Party verbundene, selbsterklärte Graswurzel-Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, aktiv für die Agenda des Präsidenten einzutreten.

So empfangen die vielen Millionen von registrierten Nutzern in regelmäßigen Abständen eindringlich formulierte EMails, die um Unterstützung werben – unterzeichnet von Obama selbst, seiner Frau Michelle, von Vize-Präsident Joe Biden oder von Mitch Stewart, dem Managing Director von OFA. Eine ganze Reihe von Kampagnen wurden initiiert, so bereits im Februar 2009 zur Unterstützung des Economic Recovery Plan, oder später, um die Ernennung von Sonia Sotomayor, Obamas Kandidatin für den Supreme Court, durchzusetzen. Obwohl OFA keine Nutzerzahlen veröffentlicht und sich der wahre Einfluss der Organisation nur schwer messen lässt, finden sich Indizien für eine so starke Nutzung wie Wirksamkeit: So berichten US-amerikanische Medien übereinstimmend von unzähligen an den Kongress gerichteten Anrufen, Briefen und E-Mails sowie tausenden Unterstützungsveranstaltungen, während Organizing for America zur besten Sendezeit TV-Spots schaltet. Diesen Beistand hat Obama auch bitter nötig, denn es zeichnet sich deutlich ab, dass seine Amtszeit von zahlreichen Konflikten geprägt sein wird – abzulesen etwa an den heftigen politischen Auseinandersetzungen über die Reform des Gesundheitswesens im Sommer 2009.

Im Dialog mit dem Präsidenten

Die neue Administration geht jedoch auch an anderer Stelle innovative Wege, um mit ihren Bürgern zu kommunizieren und in Dialog zu treten – und erzielt dabei mitunter überraschende Resultate. Ein neuer politischer Stil, das war eines der Wahlversprechen Obamas: Transparenz sollte an die Stelle der vielfach beklagten Herrschaft der Lobbyisten treten, die Politik in Kollaboration mit den Bürgern gestaltet werden. Und Obama scheint Wort zu halten und inszeniert sich als bürgernaher Präsident: Schon in der Transition Period, der Zeit direkt nach der Wahl bis zur Amtseinführung, waren die Bürger dazu aufgefordert, auf der Webseite Change.gov in zahlreichen Online-Foren Vorschläge für das Regierungsprogramm zu machen. Später dann, nach der Inauguration, konnten Internetnutzer aus eigenen Fragen diejenigen auswählen, die vom Präsidenten in einer Online Town Hall beantwortetet werden sollten. Zahlreiche Minister und hochrangige Beamte scheuen seitdem auch in ihren eigenen Blogs nicht die Auseinandersetzung mit den Bürgern. Und zuletzt wurde im Rahmen der sogenannten Open Government Initiative eine breit angelegte offene Online-Konsultation durchgeführt, um Möglichkeiten für zukünftige Partizipationsformate zu eruieren. Während es einigen zwar noch immer nicht schnell genug gehen kann mit der Öffnung der Regierung im Netz, will die Administration allerdings auch nichts überstürzen. Fast alle Formate waren bislang thematisch offen konzipiert und hatten gemeinsam, dass die Nutzer bestimmte Themen an die Spitze wählen konnten. Durchweg auf den vordersten Plätzen: Die Forderung nach der Legalisierung von Marihuana und Zweifel an der Echtheit von Obamas US-amerikanischer Geburtsurkunde.

Was macht Susan Danes aus Connecticut? Sie nutzt alle Möglichkeiten, die ihr online von Washington aus geboten werden: Zurück auf der Startseite des Health Care Action Center unterschreibt sie eine Petition und setzt aus Textbausteinen einen Brief an die Lokalzeitung zusammen. Im Anschluss macht sie noch eine kleine Spende, und lädt ihre eigene Health Care Story auf die Webseite hoch, um sie mit den anderen Nutzern zu teilen. Mit ein paar Klicks sind ihre Freunde und Bekannten per E-Mail, Facebook und Twitter direkt aus dem Portal heraus über die Kampagne informiert. Zuletzt meldet sie sich zu einem Support Barbecue an: Auf einer Google Map sind alle UnterstützerInnen in ihrer Gegend verzeichnet, so dass sie ganz einfach Kontakt aufnehmen kann. Sie weiß, dass sie ihren Präsidenten unterstützen muss, wo sie nur kann. Und der zeigt sich dessen bewusst: „I’m counting on you. Thank you, President Barack Obama.“

[Dieser Artikel ist erschienen im HAMMELSPRUNG Magazin, Ausgabe 1/Winter 2009, S. 42-45, Link zum PDF.]

[Foto: Alexander Wurm]

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