Science Fiction ist weit mehr als eine realitätsferne Spielerei für Nerds, sondern gehört längst zum popkulturellen Kanon. Sie kann zu einem ergebnisoffenen gesellschaftlichen Diskurs einladen, wenn sie aktuelle Probleme auf die Zukunft projiziert und dabei wertvolle Gedankenexperimente unternimmt.
Fiktive Gesellschaftsentwürfe in Film und Literatur scheinen einer ernsthaften Diskussion nicht würdig zu sein – oder doch? Das vergleichsweise einfach gestrickte 3D-Spektakel Avatar von 2009 gilt immerhin als der erfolgreichste Kinofilm aller Zeiten. Und während die Klassiker der Star Wars-Saga auch unter phantasielosen Puristen Kultstatus erreicht haben, erfreut sich das nerdig anmutende Star Trek-Universum aus unzähligen TV-Serien, Computer-Spielen und Romanen anhaltender Begeisterung. Diese Reihe lässt sich endlos fortsetzen, von The Matrix über Orwells 1984 und Huxleys Brave New World bis zu Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Sie alle sind dem Genre der Science Fiction zuzuordnen, sie alle haben auf ihre Weise eine enorme kulturelle Bedeutung – und sie alle wagen mehr oder minder realitätsnahe Prophezeiungen, wie unsere Welt in Zukunft aussehen könnte. Vor allem aber sind die genannten Bücher und Filme auch unter politikfernen Zielgruppen extrem populär – was sich von politischen Diskussionen über die gesellschaftliche Zukunft nicht gerade behaupten lässt. Ein näherer Blick lohnt sich also, denn: Implizit, häufig aber auch explizit wird in der Science Fiction immer die Frage thematisiert, welche Organisationsprinzipien zukünftige Gesellschaften prägen könnten.
Imperialistischer Militarismus und sozialistischer Föderalismus
In Avatar wurde zuletzt das düstere Zukunftsbild einer militaristischen, von Großkonzernen dominierten amerikanischen Gesellschaft skizziert, die unter akutem Rohstoffmangel die imperialistischen Sünden ihrer Vergangenheit auf fremden Planeten fortsetzt. Star Trek versetzte den Zuschauer mit Sendestart im Jahr 1966 hingegen in eine vergleichsweise harmonievolle Zukunft, in deren Zentrum die United Federation of Planets steht. Mit dem gleichen Ernst, mit dem Fans die technischen Details von einzelnen Raumschiffen diskutieren, erörtern sie bis heute auch politische Referenzen und Konstellationen der Serie. Die Federation mit über 150 Mitgliedern gilt dabei weithin als Utopie – ohne Währungs- und Preissystem, dafür mit einem umfassenden Sozialsystem und staatlicher Kontrolle fast der gesamten Wirtschaft. Dieses sozialistisch anmutende Konstrukt würde eigentlich eine zentrale Steuerung erfordern, doch die Mitgliedsplaneten der Föderation erfreuen sich einer hohen Autonomie. Ilya Somin, Dozent an der Jura-Fakultät der George-Mason- Universität in Washington D.C., konstruiert aus diesem Gegensatz einen Vorwurf an die Macher von Star Trek: Sie seien der verhängnisvollen Illusion erlegen, „staatliche Kontrolle der Wirtschaft mit einer starken lokalen Autonomie und individueller Freiheit kombinieren zu können“. Der Verfassungsrechtler stellt fest, dass der Gesellschaftsentwurf der Föderation ausgesprochen positiv porträtiert wird, während ihm zentralistische Systeme als aggressive Antagonisten gegenüber gestellt werden. Es sei dahingestellt, ob die Autoren mit der Star Trek-Serie wirklich ihr Gesellschaftsideal propagieren wollten. Fest steht jedoch, dass die TV-Serie mit ihren zahlreichen Spin Offs im Kino bis heute als Vehikel für energische Diskussionen dient und Fragen thematisiert, die von Schwulenfeindlichkeit bis zu Mankos föderalistischer Gesellschaftsorganisation reichen.
Bürokratie, Massenkonsum und Überwachung
In Star Wars muss der Zuschauer den Fall der föderalen Galactic Republic miterleben, die zwar einen demokratischen Politikprozess mit hoher einzelplanetarischer Freiheit institutionalisiert hat, jedoch an überbordender Bürokratie, unklaren Zuständigkeiten und Ineffizienz leidet. Diese fatalen Konstruktionsfehler decken sich mit den Vorwürfen, die dem Föderalismus von seinen Gegnern auch heute gerne gemacht werden. Jedenfalls kann auch das Jedi Council, ein demokratisch nicht legitimierter Weisenrat, die Republik nicht vor dem Untergang bewahren. Was folgt ist ganz offensichtlich von der düsteren deutschen Geschichte inspiriert: Die Sympathieträger der Filmreihe müssen sich unter der totalitären und faschistischen Diktatur des Galactic Empire behaupten. Doch es besteht Hoffnung: Leia, Luke und Chewbacca erkämpfen eine Wiederherstellung der alten Ordnung – beziehungsweise ihre Neuauflage in der New Republic, die vor alten Mängeln gefeit sein soll. Happy End oder Never Ending Story?
Die Literatur entwirft mitunter subtilere Schreckensbilder: Aldous Huxleys Brave New World wird nicht von einem Terrorregime kontrolliert. Vielmehr erkauft sich hier im Jahr 2540 ein globaler Einheitsstaat mit zentralistisch organisierter Planwirtschaft die Zufriedenheit ihrer Bürger durch massenhaften Konsum, mit reichlich Drogen und einer lockeren Sexualmoral. Augenfällig mit Erfolg, denn Huxley hält in seiner 1932 veröffentlichten Dystopie leider kein glückliches Ende für den Leser bereit. George Orwell wählte wiederum drastischere Bilder sowie einen kürzeren Zeithorizont. Und lag damit goldrichtig – zumindest, wenn man nach der Häufigkeit geht, in der heutzutage beschworen wird, die Zustände aus 1984 seien nun endlich Wirklichkeit geworden. Videoüberwachung, Rasterfahndung, Internetsperren und biometrische Reisepässe laden dazu ein, den direkten Vergleich mit dem totalitären Oceania zu suchen, einem der drei verbliebenen zentralistischen Superstaaten auf der Erde.
Von Science Fiction zu Non-Fiction
Leicht lässt sich feststellen, dass die Science Fiction immer auch eine mehr oder minder anspruchsvolle Projektion zeitgenössischer Konflikte auf Zukunftsgesellschaften unternimmt. Mitunter entstehen dabei haarsträubende Konstellationen des zukünftig Möglichen, je nach Perspektive und Intention der Autoren. Dennoch können ihre Extrapolationen Lesern und Zuschauern einen Spiegel vorhalten und damit drängende aktuelle Probleme in den Fokus rücken.
Nicht „vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis“, sondern im Jahr 2010 auf dem Planeten Erde: In Deutschland zeichnet sich seit vielen Jahren ein schleichender Kompetenzverlust der Länder zugunsten des Bundes ab, parallel entwickeln sich anderswo – etwa in Russland – Demokratien mit eigentlich föderalen Verfassungsgrundlagen in erschreckend schnellen Schritten zu autoritär regierten Einheitsstaaten. Derweil erfreuen sich rechtspopulistische Parteien in Ungarn, der Schweiz, den Niederlanden und in vielen anderen Ländern Europas großer Erfolge und fordern den starken Nationalstaat. Dieser scheint vielen die letzte Hoffnung zu sein, schließlich zeigt sich die sogenannte Weltgemeinschaft in ihrer derzeitigen Verfassung zunehmend unfähig, Antworten auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu finden. Darunter: eine exponentiell wachsende Weltbevölkerung, Armut und Hunger, Terrorismus, Klimawandel, Ressourcenknappheit, unkontrollierte atomare Bewaffnung und unverantwortliche Spekulationen an den Finanzmärkten. Please beam me up, Scotty!
Wenn dann auch noch von eigentlich respektabler Seite aus neidisch auf China geschielt wird, weil es mit Zentralismus und Autorität angeblich effektiver auf die kurz- und langfristigen Herausforderungen von Wirtschaftskrise bis Klimawandel reagieren könne, dann braucht es nicht viel Phantasie, um ein wahrhaft erschreckendes Zukunftsszenario zu entwickeln. Aus Science Fiction könnte überraschend schnell Non-Fiction werden.
Self-fulfilling prophecies
Kulturgüter wie Literatur und Film, mehr aber noch das Fernsehen stellen aufgrund ihrer leichten Zugänglichkeit und permanenten Verfügbarkeit konstitutive Elemente der alltäglichen Realität dar. Seit langem ist empirisch bewiesen, dass ihre eindringlichen Bildwelten einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben. Ohne unterstellen zu wollen, Zuschauer und Leser könnten den interstellaren Raumverkehr mit Warp-Antrieb nicht mehr von einer Fahrt im ICE unterscheiden, so ist doch die Tragweite der Gedankenexperimente aus der Science Fiction nicht zu unterschätzen. Sie könnten als Grundlage für breite gesellschaftliche Diskussionen dienen und durch ihre reduzierte Plastizität gerade politikferne Schichten mit einbeziehen: „Wie könnte sich unsere Gesellschaft in Zukunft entwickeln? Welche Organisationsmodelle sind dazu geeignet, aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen? Wie können wir vermeiden, dass unsere Welt bald wirklich so aussieht wie in Avatar?“
Denn so unrealistisch Science Fiction mitunter erscheinen mag, so sehr lässt sie sich auch als Anregung dazu verstehen, kurzfristiges Denken auszusetzen und ernsthafte Folgenabschätzung zu betreiben. Zu hoffen bleibt jedenfalls, dass die Visionen der oben genannten Filme und Romane trotz ihrer Popularität nicht zu den berüchtigten self-fulfilling prophecies werden – sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
[Foto: 55Laney69/flickr.com | CC BY 2.0]
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