Die Bilanz der Impfkampagne in Deutschland ist bislang eher durchwachsen. In Berlin sind bislang nur die Hälfte der bereits berechtigten Menschen der offiziellen, schriftlichen Impfeinladung gefolgt – bis Ende März hatten von 1,6 Millionen Eingeladenen nur 800.000 Menschen einen Termin gemacht, so der RBB.
Dies spiegelt sich auch in der niedrigen, wenn auch langsam wachsenden Impfbereitschaft wider: „Während im November noch 57 Prozent der Deutschen bereit waren, sich gegen Sars-CoV-2 impfen zu lassen, sind es inzwischen 67 Prozent. […] Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, stieg in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen von 36 Prozent im November auf 51 Prozent im April. Bei den 25- bis 34-Jährigen stieg sie von 47 Prozent auf 60 Prozent an“, so der Tagesspiegel am 23. April 2021.
Es wird also besser, aber es ist viel zu wenig, um die Pandemie endlich in den Griff zu kriegen, denn selbst wenn sich wirklich 67 Prozent der deutschen Bevölkerung impfen lassen, bleiben hier ja Millionen von Menschen außen vor, die (bis jetzt) nicht geimpft werden können: Kinder und Jugendliche voran, aber auch Menschen mit gesundheitlichen Problemen sowie Menschen, die keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben oder sich in anderen prekären Situationen befinden.
Die Top-Down-Kampagne der Bundesregierung
Die Bundesregierung fährt eine Kampagne unter dem Titel #ÄrmelHoch, die zum Jahreswechsel mit Plakaten im Straßenbild präsent war und eher die Gesundheitsberufe in den Fokus rückte. Jetzt will das verantwortliche Gesundheitsministerium die Impfbereitschaft mit Prominent:innen wie Günter Jauch und Uschi Glas und sogar einem eigenen Podcast steigern. Die Zielgruppe ist offensichtlich eher die Ü60-Generation, was angesichts der bislang eher knappen Verfügbarkeit der Impfstoffe durchaus noch Sinn macht. Dennoch wird die #ÄrmelHoch-Kampagne hinsichtlich ihrer Wirksamkeit von Expert:innen kritisiert.
Grundsätzlich ist der Hashtag ganz gut gewählt, und unter #ÄrmelHoch finden sich bei Twitter und Instagram auch durchaus einige Impf-Selfies. Das verbindende visuelle Element ist hier der hochgekrempelte Ärmel mit dem Pflaster über der Einstichstelle. Insgesamt aber scheint die Kampagne dann doch noch nicht ihre Sogwirkung entfaltet zu haben und wirkt so, was sie ja auch ist: von oben verordnet. Vielleicht hat das Kampagnen-Team ja auch noch ein paar Knaller in der Pipeline für die Zeit, wenn auch mehr jüngere Menschen geimpft werden können. Ich möchte auf jeden Fall dann bald Impf-Selfies von Marco Reus und Pamela Reif sehen, aber auch von Shirin David, Capital Bra und Montana Black.
Woran hapert’s?
In meinem persönlichen Umfeld, aber auch in den sozialen Medien kann ich beobachten: Viele der Glücklichen, die schon geimpft wurden, thematisieren zuvorderst vermeintliche oder tatsächliche Nebenwirkungen oder deren Ausbleiben. Klar, das ist alles sehr aufregend, aber ich frage mich gerade ständig: Müsste nicht das Gefühl der Erleichterung überwiegen, der Freude – oder auch des Stolzes, dass die Menschheit es irgendwie vollbracht hat, in so kurzer Zeit wie nie zuvor wirksame Impfstoffe zu entwickeln? Auch wenn oder gerade weil so viel furchtbar schlecht gelaufen ist in der Pandemiebekämpfung? Mir fehlt hier ganz klar die Begeisterung, der Team-Spirit, die Solidarität, das „Yes, we can!“. Jeder Pieks ist eigentlich eine kleine Party wert.
Die mangelnde Begeisterung über die Impfungen hängt natürlich auch mit der zum Teil desaströsen offiziellen Kommunikation zusammen – das AstraZeneca-Debakel ist da ja nur ein Beispiel. Weitere Gründe lassen sich vielleicht auch unter den Stichworten Pessimismus, Neid, Misstrauen oder Zurückhaltung suchen. Man müsste das Thema irgendwie positiver besetzen – nur wie? 🤔
Schauen wir doch mal über den Tellerrand. Gebe ich Stichworte wie „got the jab“ or „finally vaccinated“ in die Suchfelder der allseits bekannten Plattformen ein, fühle ich mich ein wenig an US-amerikanische Wahltage erinnert, an denen Menschen stolz ihre „I just voted“-Selfies posten.
Und, fällt was auf? Offenbar haben diese ganzen Leute nach ihren Impfungen kleine Mitbringsel und Geschenke erhalten, und teilen diese stolz und erleichtert mit ihren Netzwerken. Manche Impfzentren kommen offenbar mit Fotowänden und Aufstellern sogar genau dieser Selfie-Kultur entgegen – Wahnsinn, revolutionär!
Das mag zunächst wie ein kleines Detail anmuten, die Kraft dieser Symbole sollte aber nicht unterschätzt werden. Das unterbewusste mentale Belohnungssystem rationaler erwachsener Menschen wird meines Halbwissens nach auch durch kleinste Geschenke getriggert (soweit meine Küchenpsychologie, Links zu Studien gerne in die Kommentare). Viel wichtiger aber noch: Den geimpften Menschen werden so Symbole zur Verfügung gestellt, mit denen sie sich identifizieren, hinter denen sie sich versammeln, mit denen sie in Familie, Freundeskreis und Followerschaft hineinwirken können. Diese kleinen Gimmicks können überhaupt erst den Impuls auslösen, sich selbst damit zu fotografieren und damit auch den Beweis anzutreten, dass die Impfung erfolgt ist: „pics, or it didn’t happen…“ Und: So ein Button lässt sich natürlich auch nach im Anschluss an die Impfung tragen, auf dem Spielplatz, im Supermarkt, und kann die frohe Kunde weiter verbreiten.
Doch hierzulande fehlt diese Symbolik bislang. Das Bedürfnis, sich mit der Impfung zu präsentieren, lässt sich jedoch an den Fotos von Impfpässen ablesen, mit denen sich Menschen jetzt vielfach nach ihrer Impfung präsentieren. (Warum das allerdings keine gute Idee ist und von Impfgegner:innen missbraucht werden kann, wurde zuletzt immer wieder betont.) Unter dem Hashtag #Impfluencer gibt es damit eine auch eine Art Graswurzel-Gegenentwurf zur Kampagne der staatlichen Stellen – eine gemeinsame Bildsprache gibt es hier jedoch nicht.
Verpasste Chance der Hilfsorganisationen
Ein Fragezeichen lässt sich da auch an die Marketing-Abteilungen der Organisationen richten, die die vielen deutschen Impfzentren betreiben. Warum lassen sich Rotes Kreuz, Malteser, ASB & Co die Chance entgehen, auf tausenden von Selfies mit glücklichen, frisch geimpften Menschen aufzutauchen? Dass die Organisationen durchaus gewillt sind, in Impf-Marketing zu investieren, zeigen sie etwa in Berlin mit der Website wirhelfenberlin.de (und sogar einem Musikvideo von Erdmöbel und Judith Holofernes, jetzt erst entdeckt. Stand heute: 868 Aufrufe).
Die Investition in die Produktion und Verteilung vieler tausend kleiner Buttons mit irgendeinem „Endlich geimpft!“-Spruch und dem Logo der jeweiligen Organisation hätte einen Marketing-Effekt, der den eines netten, aber schlecht geklickten Musikvideos sicherlich bei weitem überstiege.
Einfach selber machen
Und hier kommt jetzt der schamlose Eigenwerbeblock: Angesichts der oben stehenden Beobachtungen und mit der Motivation, das Thema Impfen positiver zu besetzen, habe ich eine Reihe von T-Shirt-Motiven gestaltet, die sich aber auch sehr gut auf Tassen, Taschen und Buttons machen. Erhältlich sind die Artikel über den Online-Shop EndlichGeimpft.de – hier kann auch noch nach Herzenslust personalisiert und angepasst werden. Zudem stehen noch viele weitere Produkte zur Auswahl bereit. Wer ein Geschenk für einen frischen Impfling sucht oder sich selbst zur Impfung beschenken will, kann hier auf jeden Fall fündig werden.
In dem Bewusstsein, dass wir hier in Deutschland trotz allem in einer sehr privilegierten Situation sind, spende ich 25% meiner Erlöse aus dem #EndlichGeimpft-Shop an die Organisation Ärzte ohne Grenzen für ihre weltweiten Corona-Projekte.
Also, liebe Leute, gehet hinfort, machet euch schick für euren Impftermin oder schenket eurer Oma eine AstraZeneca-Fanclub-Tasse. Oder nichts dergleichen, aber werdet zu Impfluencern und rühret in jedem Fall die Werbetrommel für den Pieks!
Ich weiß jedenfalls schon, was ich zu meiner Impfung anziehen werde: „Give it to me, baby!“
Wir hatten offensichtlich sehr ähnliche Gedanken zum Thema:
https://superm8.de/tfc/
Hallo Jan,
bin gerade erst zurück aus dem Urlaub – daher komme ich jetzt erst dazu, dir zu antworten.
Ja, offensichtlich hatten wir sehr ähnliche Gedanken! Und angesichts der sinkenden Impfbereitschaft ist die Perspektive auch sehr angebracht. Meine Schwester wurde erst heute Morgen in einem fast leeren Impfzentrum in Stuttgart geimpft und vom Personal gefragt, ob sie denn nicht noch irgendjemand kenne, der sich impfen lassen wolle. Es sei jederzeit und spontan möglich, sie würden auf dem Impfstoff sitzen bleiben.
Gefallen mir jedenfalls super, deine Motive! Auch die anderen Sachen, die du gemacht hast – Impftermine.berlin und besserimpformiert.de. Hoffen wir, dass es irgendwas bringt!
Viele Grüße
Alex