In der vergangenen Woche habe ich am Rande eine intensive Debatte auf Twitter auf WordPress Tavern verfolgt, in der sehr kontrovers darüber diskutiert wurde, ob das Tragen der allseits bekannten roten Baseball-Caps mit der Aufschrift „Make America Great Again“ (kurz: „MAGA“) gegen den Code of Conduct von WordCamps verstoße. Ausgelöst (oder angefeuert) wurde die Debatte durch einen Blogbeitrag von Aaron Jorbin mit dem Titel „Symbols of Hate at WordCamps“. Aaron Jorbin argumentiert, dass der Slogan längst nicht mehr nur das zentrale Wahlkampf-Motto des US-Präsidenten Donald Trump sei, sondern dass der Spruch samt roter Kapp mittlerweile von der extremen Rechte in den USA (und darüber hinaus) besetzt und zu einem „Symbol des Hasses“ avanciert sei. Jorbin zieht Parallelen zum Hakenkreuz und spricht sich dafür aus, die MAGA-Kappen von WordCamps zu bannen.
Justin Tadlock widerspricht Jorbin auf WP Tavern ausdrücklich: In seinem Beitrag „On MAGA Caps and WordCamps“ identifiziert sich Tadlock zwar ausdrücklich als Anhänger der Demokratischen Partei, kritisiert jedoch die moralische Überlegenheit, in der sich Teile einer „Left-leaning vocal majority“, also einer „linksgerichteten lauten Mehrheit“ im WordPress-Kosmos wähnten. Tadlock sieht in einem Verbot der MAGA-Caps eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Gefahr, dass unliebsame politische Meinungen unterdrückt werden könnten. Auf WP Tavern entwickelte sich eine sehr kontroverse Diskussion mit langen Beiträgen, die auf Twitter ihre lebhafte Fortsetzung fand (einen Einstieg bietet dieser Thread von Christie Chirinos).
Wen interessiert’s?
Die Amis beschäftigen sich wieder mal nur mit sich selbst, anstatt das globale WordPress-Projekt voranzutreiben – so oder so ähnlich ließe sich vielleicht die oben kurz skizzierte Debatte einordnen. Alternativ kann der Frage, wie viel politische Meinungsäußerung auf WordCamps erlaubt sein solle, durchaus eine Allgemeingültigkeit zugestanden werden, die über US-amerikanische Innenpolitik weit hinausgeht. Aus deutscher Perspektive: Haben wir nicht unsere eigenen MAGA-Hutträger?
Für mich war die Debatte ein Anlass, mich mal nach den Berührungspunkten von WordPress mit dem rechten politischen Rand umzuschauen.
Eine Software „für jeden Zweck“
Bei der WordPress-Software an sich ist der Fall ja denkbar klar und einfach: WordPress ist unter der General Public License (GPL) lizenziert, die bestimmte Grundfreiheiten bietet, insbesondere „[d]ie Freiheit, das Programm für jeden Zweck auszuführen“ (Quelle: „Philosophie“ auf WordPress.org, Textauszeichnung durch mich).
Diese Freiheit hat natürlich die Konsequenz, dass mit WordPress auch Projekte realisiert werden, die meinen eigenen Ansichten komplett entgegenstehen – oder sich sogar außerhalb des demokratischen Konsenses bewegen. „Democratize Publishing“, auch wenn es mir mitunter Bauchschmerzen bereitet.
So laufen etwa die Websites von AfD, NPD, Identitäre Bewegung Deutschland, Compact, Sezession und KenFM, aber auch etwa die von Breitbart oder vom Rassemblement National auf WordPress (Links gibt’s an dieser Stelle natürlich nicht).
Nur am Rande: WordPress.com, dieses Hybrid aus kommerziellem Hosting-Dienstleister und Social Network, kann sich abseits von der GPL eigene Regeln geben, hat dies aber nur in sehr begrenztem Umfang gemacht. Die User Guidelines (die es übrigens bislang offenbar nur in englischer Sprache gibt), stellen lediglich das folgende Verbot auf: „Do not publish realistic calls to violence.“ Auf Basis dieser Richtlinien wurden in der Vergangenheit zwar schon mal Nazi-Websites von WordPress.com gelöscht, aber dies scheint eher ad hoc und nach öffentlichem Protest zu erfolgen und keiner Systematik zu unterliegen.
In der oben kurz nachskizzierten Diskussion ging es allerdings speziell um WordCamps, daher vielleicht an dieser Stelle noch einmal ein Blick in den Code of Conduct.
Refrain from demeaning, discriminatory or harassing behaviour and speech. […] Unacceptable behaviours include: intimidating, harassing, abusive, discriminatory, derogatory or demeaning conduct […] Harassment includes: Offensive verbal comments related to gender, sexual orientation, race, religion, disability, age.
– WCEU 2020: „Code of Conduct“
Im Hinblick auf die MAGA-Diskussion ist hier auf jeden Fall die Sanktionierung von „Verhalten“ (behaviour) bemerkenswert – denn das bewusste Tragen bestimmter Kleidung kann natürlich als einschüchterndes oder diskriminierendes Verhalten gewertet werden.
Text Domain: ekelhafd
Die MAGA-Kappe symbolisiert mehr als eine Trump-Anhängerschaft, das wurde vielfach festgestellt – siehe Einschätzungen bei GQ, NPR und WBUR. Wenn erklärte Rassist*innen vielfach und regelmäßig ein Kleidungsstück nutzen, um damit ihre Identität zu offenbaren, kann ich mich nur davon distanzieren, indem ich das Kleidungsstück selbst nicht mehr trage. Andernfalls kann ich nicht ausschließen, selbst als Rassist identifiziert zu werden – und damit eine entsprechende Wirkung auf andere zu haben. Daher können MAGA-Caps vielleicht auf einer Wahlkampf-Veranstaltung von Donald Trump getragen werden, aber auf WordCamps haben sie definitiv nichts zu suchen.
Doch, so fragt ja auch schon Justin Tadlock, wo zieht man hier die Linie? Relevant kann bei der Beurteilung dieser Frage nicht die Einschätzung derer sein, die den Verlust ihrer Deutungshoheit über bestimmte Symbole bedauern. Auch die Meinung derer, die gar nicht von Rassismus und Ausgrenzung betroffen sind, kann allenfalls der Orientierung dienen. Entscheidend kann nur die Perspektive der Menschen sein, die von rassistischer, misogyner, und homophober Politik betroffen sind. Wenn Angehörige marginalisierter Gruppen sich durch ein bestimmtes Verhalten bedroht, diskriminiert oder eingeschüchtert fühlen, dann ist dieses Verhalten entsprechend zu ahnden und zu unterbinden.
In Deutschland werden MAGA-Caps eher selten gesichtet. Aber es geht ja auch subtiler: So haben Rechtsextremist*innen eine lange Tradition und viel Geschick darin, eigentlich unverfängliche Symbole für sich einzunehmen. Wie so oft: Context matters. Wenn ein AfD-Abgeordneter eine Kornblume am Revers trägt, so ist das natürlich etwas anderes, als wenn meine Tochter einen Blumenstrauß pflückt. Es kommt halt darauf an, wer das Paulchen-Panther-Shirt trägt oder die auch als „Schweigefuchs“ bekannte Geste macht.
Kann eine MAGA-Kappe mit einem T-Shirt gleichgesetzt werden, auf dem das AfD-Logo prangt? Guilty by association – das oben beschriebene Prinzip muss auch hier Anwendung finden. Hier ist der kostenlose Selbsttest für alle AfD-Anhänger*innen, die mit WordPress arbeiten: Heiße ich politische Positionen der AfD gut, will aber öffentlich nicht als Sympathisant*in von Alexander „Vogelschiss“ Gauland oder des gerichtlich bestätigten Faschisten Björn Höcke wahrgenommen werden? Dann bringe ich mich vielleicht in die Partei ein und versuche, sie zu einem gemäßigten Kurs zu bewegen (spoiler alert: Das wird nicht einfach). Aber auf gar keinen Fall komme ich in meinem AfD-Shirt zu einem WordCamp.
Das Beitragsfoto oben wurde von The Epoch Times auf Flickr unter einer CC BY 2.0-Lizenz veröffentlicht.
Nachtrag vom 20.03.2020: Wie der obenstehende Bildnachweis verrät, habe ich als Beitragsbild ein Foto gewählt, das auf dem Flickr-Account von The Epoch Times veröffentlicht wurde – ohne vorher zu überprüfen, um was für eine Publikation es sich da eigentlich handelt. The Epoch Times steht offenbar der chinesischen Falun-Gong-Bewegung nahe (mehr zu Falun Gong auf Wikipedia). Die deutschsprachige Ausgabe der Epoch Times wird von Medienanalyst*innen „wegen ihrer positiven Berichterstattung über rechtspopulistische Gruppen wie die Alternative für Deutschland und Pegida kritisiert“ – so Wikipedia.
Oh, the irony.
Spannende Frage, ich habe die MAGA Diskussion nur am Rande verfolgt.
Irgendwie kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ein AfD-Anhänger tatsächlich bei einem WordCamp aufschlägt.
Mir scheinen das zwei verschiedene Lebenswelten zu sein, doch das ist eher meine Vermutung als praktische Erfahrung, da mein Umfeld eher AfD-fern ist.
Oder vielleicht sind sie schon dabei, doch eher unter dem Radar, weil sie eben auf ihr AfD-Shirt & Sprüche verzichten?!
Auf einem WordCamp geht es um WordPress und all seinen peripheren Themen. WordPress mag dafür verwendet werden, seine politische Denkweise zu verbreiten, doch jede WordPress Veranstaltung an sich bietet keinen Rahmen für eine wie-auch-immer-geartete politische Diskussion.
Die Webseite der Grünen NRW läuft ebenfalls auf WordPress: Das haben wir bei einem Kölner Meetup durch einen Teilnehmenden mitbekommen, der Fragen zu der Installation hatte. In diesem Zusammenhang haben alle mit Ratschlägen zur Seite gestanden. Wurden grüne Fragen an dem Abend diskutiert? Nein.
Ich glaube, die Community wird das individuell vor Ort für sich regeln.
Hallo Judith, vielen Dank für deinen Beitrag! Ich stimme dir zu: Auf WordCamps sollte es um WordPress gehen. Welche Inhalte die Leute auf ihren WordPress-Seiten verbreiten, ist im Prinzip irrelevant. Problematisch wird es aber in meinen Augen, wenn Leute ihre ausgrenzenden politischen Positionen offen zur Schau stellen – indem sie etwa ein entsprechendes Shirt tragen.
Auf der Webseite https://wordpress.org/about/ beschreibt die WordPress-Community die Mission von WordPress mit den einleitenden Zeilen „WordPress is software designed for everyone“ (WordPress ist eine Software für alle) und fährt fort „We believe in democratizing publishing and the freedoms that come with open source. Supporting this idea is a large community of people collaborating on and contributing to this project. The WordPress community is welcoming and inclusive.“ (Wir glauben an die Demokratisierung des Veröffentlichens und die mit Open Source verbundenen Freiheiten. Diese Idee wird von einer großen Gemeinschaft von Menschen unterstützt, die an diesem Projekt mitarbeiten und dazu beitragen. Die WordPress-Community ist einladend und integrativ., beide Übersetzungen Deepl.com). Als aktiver Teilnehmer im deutschsprachigen WordPress-Support-Forum (https://de.wordpress.org/support) sehe ich das neben dem Code of Coduct als Leitlinie für den Umgang miteinander.
Im Forum werden alle Fragen zugelassen, bei denen es ausschließlich um WordPress geht, und zwar unabhängig von der Person, Personengruppe oder Unternehmung, die ihre Website mit WordPress betreibt. Allerdings bleibt es allen Teilnehmenden selbst überlassen, welche Fragen sie beantworten und wen sie damit indirekt unterstützen möchten. Niemand ist verpflichtet, Antworten beizutragen und bei einer offensichtlich tendenziösen Website würde ich mich wahrscheinlich sehr mit Antworten zurückhalten.
Die Entscheidung ist aber nicht immer einfach. Hilft man einem Teilnehmer, der sich wotan88 nennt und gerne wissen möchte, wie sich die chronologischen Reihenfolge von Beiträgen auf der Beitragsübersichtsseite umkehren lässt (also tatsächlich wertfrei eine vollständig auf WordPress bezogene Frage stellt)? Interpretiere ich den Benutzer mit dem merkwürdigen Usernamen als vermutlich rechtsradikal gesinnten Mitmenschen (bäh!) oder handelt es sich vielleicht um eine unglückliche Zusammensetzung eines Nutzernamens vom (erfundenen) Nutzer Wolfgang Tannenbusch, der 1988 geboren wurde? Ist der Wunsch, seine Meinung zu äußern bei Partei ABC gut, aber bei Partei DEF böse? Was ist mit den anderen NutzerInnen, deren Zielen und Ansichten ich nicht unbedingt teile, sie vielleicht nicht einmal unterstützen möchte? Gut, dass es im Support eigentlich nie um Personen, sondern immer um die Sache geht.
Die Mission von WordPress ist, allen die Software zur Verfügung zu stellen und eine Veröffentlichung von Meinungen zu demokratisieren. Meistens gelingt uns das richtig gut.
Hallo, vielen herzlichen Dank für deinen ausführlichen Beitrag! Beim Schreiben meines Posts habe ich mich auch schon gefragt, wie das wohl im Support aussieht – vielen Dank für die Innenansicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass das im Einzelfall eine schwierige Entscheidung ist. Die Hintergedanken hinter der Wahl eines Nutzernamens lassen sich nicht immer nachvollziehen, aber ich denke trotzdem, dass wir hier schon in die MAGA-Kappen-Territory hereinkommen, denn ein Nutzername ist ja so etwas wie ein Aushängeschild. Und auch da gilt für mich: Will ich nicht als Nazi identifiziert werden, wähle ich auch keinen zweideutigen Nutzernamen.
Darüber hinaus: In jeder Partei gibt es „Idioten“, das lässt sich nicht verhindern. Wenn diese Idioten (und der Begriff ist ja schon sehr verniedlichend) jedoch dauerhaft leitende Funktionen einnehmen und ich damit unzufrieden bin, dann bin ich vielleicht in der falschen Partei. Rassistische, sexistische, homophobe und generell ausgrenzende Positionen sind keine „Meinungen“, sondern Ausdruck menschenverachtender Ideologien. Und da gibt es für mich auch keinen Middleground oder Konsens.
Aber natürlich ist es vollkommen richtig so, dass die WordPress-Software eine neutrale Plattform bietet. Ein dem Download-Button vorgeschalteter Gesinnungstest ist undenkbar – politische Auseinandersetzungen müssen definitiv an anderer Stelle erfolgen.