Politik

Mit ein paar Klicks für eine bessere Welt?

Politischer Protest manifestiert sich zunehmend online – doch den Aktivisten ist bewusst, dass sie ihr Engagement auch offline zur Geltung bringen müssen.

Eine Mail, ein Link, zwei Klicks. Mehr braucht es heutzutage nicht, um sich politisch zu engagieren: gegen Genmais, Atomkraft oder die Bahnprivatisierung. Und das ganz bequem vom Schreibtisch aus – über unabhängige Internetplattformen, die einzelne politisch Aktive mit Gleichgesinnten zusammenführen. Eine der neuen Organisationen, die in jüngster Zeit mit Online-Kampagnen für Aufmerksamkeit sorgen, ist Campact. Ein kleines zehnköpfiges Team aus dem niedersächsischen Verden initiiert unter dem Motto Demokratie in Aktion über das Internet laufend neue Aktionen zu diversen umwelt- und gesellschaftspolitischen Themen und kann dabei per E-Mail auf einen Pool von über 180.000 registrierten Aktivisten zurückgreifen – mit schnell wachsender Tendenz.

Campact wurde 2004 nach dem USamerikanischen Vorbild MoveOn.org gegründet, das sich nach eigenen Angaben auf über 5 Millionen Mitglieder stützt. Entstanden ist die Organisation einst aus dem Unmut über die monatelange Dauerberichterstattung über die Sex-Affäre von Bill Clinton und Monika Lewinsky. Den E-Mail-Aufruf „Move On to Pressing Issues Facing the Nation!“ unterzeichneten Hunderttausende. Mittlerweile hat die Bewegung eine Vielzahl von politischen Kampagnen mit großer Öffentlichkeitswirkung durchgeführt – und beschränkt sich dabei längst nicht mehr nur auf das Internet, sondern schaltet mit den Spenden seiner Mitglieder Printanzeigen und TV-Spots. Tradition hat die Unterstützung der Democratic Party: Der Wahlsieg Obamas wird – hierzulande völlig unbeachtet – zu einem guten Teil auch der ausdauernden Mobilisierung von MoveOn.org zugeschrieben.

Schnelle Reaktion, quer zu den Fronten

Würde sich Campact wie MoveOn.org klar für einzelne politische Kandidaten aussprechen? „Überparteilichkeit ist eines der grundlegenden Prinzipien von Campact“, so der Diplom-Politologe Ingmar Hagemann, der sich im Team von Campact engagiert, gleichzeitig aber auch die sozialen Bewegungen im Internet in seiner Dissertation an der Universität Duisburg-Essen kritisch reflektiert. Hagemann – dünn, groß, mit dunklen Haaren und in Jeans und Chucks – erklärt, dass Campact sogar häufig Themen aufgreife, die quer zu den Parteilinien lägen und von der Politik eher vernachlässigt würden, dafür aber in der Bevölkerung breite Resonanz fänden. Wie kann jedoch eine so kleine Organisation wie Campact überhaupt den hohen Aufwand leisten, die die inhaltliche Vorbereitung einer Kampagne etwa zum Thema der umstrittenen Agrar-Exportsubventionen erfordert? „Wir arbeiten eng mit anderen Organisationen zusammen, die uns als Kooperationspartner inhaltlich unterstützen. Diese erfolgreiche Vernetzung ist essentiell für den Erfolg einer Kampagne. Campact hat spezielle Erfahrungen damit, wie Kampagnen zu fahren sind und bietet Interessierten die Möglichkeit, sich online zu vernetzen.“

Die Mitglieder von Campact sind, so heißt es auf der Webseite, „nicht durch Stimmrechte an taktischen und strategischen Entscheidungen der Organisation beteiligt“. Muss sich Campact den Vorwurf gefallen lassen, dass zwar nach außen für mehr Demokratie gestritten wird, die Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation jedoch eher von oben nach unten ablaufen? Hagemann ist der Einwand bekannt, er entgegnet jedoch, dass „es das Ziel von Campact ist, nah an der Politik zu sein und schnell reagieren zu können. Deshalb macht das Team von Campact auch die Vorschläge für die Kampagnen.“ Die Themensetzung geschehe jedoch in engen Rückkopplungsprozessen mit den Aktiven. Anders als vielleicht bei einer Partei hängt so jede Initiative immer wieder von der namentlichen Unterstützung der Mitglieder ab – würden die einzelnen Appelle nicht unterzeichnet, wären sie politisch wirkungslos.

Politischer Aktivismus in der Kaffepause?

Die Webseite von Campact: Bunte Bilder, klare Slogans, zu jeder Kampagne wird ein „5-Minuten-Info“ angeboten. Mit ein paar Mausklicks ist der Appell unterzeichnet, das Gewissen bereinigt, die Welt wieder ein Stückchen besser. Für den Diplom-Biologen und Politikwissenschaftler Christoph Bautz, der im Vorstand von Campact sitzt, macht es seine Organisation möglich, „in der Kaffeepause aktiv zu werden“. Wie einfach ist heute der politische Protest geworden: Keine Friedensmärsche im Regen, keine Unterschriftensammlung in der Fußgängerzone, keine anstrengenden Demonstrationen mehr? Zugegeben – in der globalisierten Gesellschaft, in der Mobilität und Flexibilität zu allgemeingültigen Maßstäben erhoben werden, bleibt vielleicht weniger Zeit für politisches Engagement. Kann die Demokratie jedoch allein vom Mausklick leben? Ingmar Hagemann schüttelt entschieden den Kopf: „Campact will auf keinen Fall andere Formen des Engagements ersetzen, verlangt von seinen Aktiven jedoch auch nicht von Beginn an diese hohe Spezialisierung, die anderswo oftmals als Voraussetzung gilt und den Zugang häufig verhindert. Campact kann vielmehr den Ausschlag dafür geben, sich überhaupt erst einmal einzubringen.“ Es stehe jedoch fest, dass die Unterzeichnung von Online-Petititionen immer nur der Anfang sein kann. So werden über die Campact-Plattform regelmäßig tausende E-Mails an Abgeordnetenbüros und Ministerien versandt. Der Organisation gelingt es aber auch immer wieder, den Protest ihrer Aktiven kreativ und medienwirksam in die reale Welt zu überführen – jeweils auf der Basis vorausgehender Mobilisierung und Koordination im Netz. Einige Beispiele: Im November 2006 bilden vor dem Bundestag 13.000 von Campact- Aktiven gestiftete Luftballons den Schriftzug „Gen-Food – Nein Danke!“ und verteilen sich danach im Regierungsviertel wie Pollen genmanipulierter Pflanzen. Im Februar 2009 umzingeln etwa 2.000 Aktive den Tagungsort des Deutschen Atomforums, zum Teil in Schutzanzügen und auf „Atomfässern“ trommelnd, in den Händen Kerzen als „Brennstäbe“. Und im Juli 2009 kommt der Bundesumweltminister nicht umhin, öffentlich auf die Übergabe von über 37.000 Unterschriften gegen den Neubau von Kohlekraftwerken zu reagieren. Dass die neue Bundesregierung nicht verschont werden wird, kündigt sich bereits lautstark an: Über hundertausend Aktive haben noch während der Koalistionsverhandlungen eine Petition gegen die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken unterzeichnet. Während E-Mails einfach gelöscht werden können, sind öffentliche Aktionen nicht so leicht zu übergehen, insbesondere wenn sie von den traditionellen Medien aufgegriffen werden. Ziel der Online-Aktivisten ist es in jedem Fall, politische Entscheidungsträger in ihrer eigenen Öffentlichkeit zu konfrontieren und so politische Wirkung zu erzielen – und die entfaltet sich nach wie vor in erster Linie offline.

[Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen im HAMMELSPRUNG Magazin, Ausgabe 1/Winter 2009, S. 58-61, Link zum PDF.]

[Foto: Alexander Wurm]

über

Alex von F. ist ein Grafik-Designer und Web-Entwickler. Ursprünglich ein Düsseldorfer Jong, heute in Berlin-Schöneberg ansässig.

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