Illustration, die einen Mann zeigt, der ein Buch liest und sich am Kopf kratzt
Code ist Poesie

Moralische Fragen bei Website-Projekten und Ethik-Kodizes

Ethische Fragen spielen eine große Rolle im Webdesign. Welche Verantwortung trage ich selbst und woran kann ich mich orientieren?

Bei der Realisierung von Website-Projekten mit WordPress sehe ich mich sehr häufig mit Fragen konfrontiert, die auch ethische bzw. moralische Implikationen haben. Und hier können die Interessen meiner Auftraggeber*innen schnell im Konflikt mit meinen Überzeugungen geraten. Einige wenige dieser vielen möglichen Fragen lauten etwa:

  • Muss hier wirklich Google Analytics eingesetzt werden?
  • Inwieweit kann ich darauf bestehen, die Website so weit wie möglich barrierefrei zu gestalten?
  • Muss als Newsletter-Tool wirklich Mailchimp mit seinen invasiven Tracking-Methoden zum Einsatz kommen?
  • Kommentiere und organisiere ich meinen Code ordentlich, oder hinterlasse ich einen Topf Spaghetti, der nur für mich Sinn ergibt? 🍝

Fragen, die wahrscheinlich jede*r kennt, der schon einmal eine Website realisiert hat, und die jede*r womöglich anders beantwortet.

„Ruined by Design“?

Welche Verantwortung ich selbst hier trage, ist mir bei der Lektüre des Buchs „Ruined by Design“ noch einmal bewusst geworden. Das Buch des amerikanischen Designers und Publizisten Mike Monteiro hat mich sehr überzeugt und ich kann es allen empfehlen, die in irgendwo im Feld von (Web-)Technologie und/oder Design arbeiten. (Hier ist eine Microsite zum Buch, und hier ist das Twitterprofil von Mike Monteiro.)

Mike Monteiro argumentiert, dass die Fehlentwicklungen unserer Welt und gerade im Technologie-Sektor darauf beruhen, dass sie genauso vorgesehen wurden („by design“). Die Schuld dafür sei nicht nur in den Chef-Etagen zu suchen – vielmehr trage jede Person, die gestalterische Entscheidungen trifft, eine Mitverantwortung. Der Autor bezieht sich hier nicht nur auf Designer*innen im engeren Sinne, sondern zählt alle diejenigen, die Einfluss auf den Entstehungs- und Gestaltungsprozess eines Produktes haben, dazu – von Programmier*innen bis hin zu Marketing-Fachleuten. Mit äußerst deutlichen, mitunter fast schmerzhaft direkten Worten appelliert Mike Monteiro an all diese Menschen, ihrer Verantwortung nachzukommen und nicht an der Entwicklung von Produkten mitzuwirken, die in irgendeiner Form schädlich für andere sein könn(t)en.

Mike Monteiro setzt in dem Buch seinen Entwurf eines Ethik-Kodexes fort, den er 2017 auch schon auf dem Blog seiner Agentur Mule vorstellt hatte. Während sich hier viele Punkte finden, die ich genauso unterschreiben würde, kann ich genau dies nicht: den Kodex unterschreiben und mich zu seiner Einhaltung zu verpflichten. Dies ist wahrscheinlich auch so gewollt, da der Kodex offenbar eher eine Diskussionsgrundlage darstellen soll. Ich hatte aber gerade nach der Lektüre von „Ruined by Design“ das Bedürfnis, eine konkrete Selbstverpflichtung einzugehen, und dies auch öffentlich zu machen.

„The Tech Pledge“

Also habe ich mich auf die Suche gemacht und bin auf „The Tech Pledge“ gestoßen, die 2019 auf dem Techfestival in Kopenhagen in einem kollaborativen Prozess von 150 Menschen aus 40 Ländern entwickelt wurde. Zwei Mitgründer*innen des Berliner Betahaus waren auch dabei und haben einen Bericht über ihre Teilnahme veröffentlicht.

Unterzeichner*innen der Tech Pledge verpflichten sich, Technologie zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen und gehen dazu insgesamt 12 Selbstverpflichtungen ein, die verschiedene Facetten der Arbeit im Techologie-Sektor berühren: etwa, Verantwortung für seine technischen Geschöpfe zu übernehmen, offen für Kritik zu sein, nicht auf Kontrolle seiner Nutzer*innen abzuzielen und sich an der demokratischen Regulierung von Technologie zu beteiligen.

Ich kann all diesen Punkten zustimmen und habe diese Selbstverpflichtung dementsprechend unterschrieben. Ich hoffe, du tust es mir nach! Hier kannst du die Tech Pledge unterzeichnen.

Das Bild zeigt eine Badge mit einer Schwurhand und einem Herz sowie einem animierten Strahlenkranz darum, und darunter den Text „You have taken The Tech Pledge“
Einblendung nach Unterzeichnung der Tech Pledge (Bild: techpledge.org, CC BY 2.0)

Bislang haben nur 1787 Menschen die Tech Pledge unterschrieben – Stand heute. Viel zu wenig, meiner Meinung nach. Um dem vielleicht ein klein wenig auf die Sprünge zu helfen, und um mich selbst stärker mit dem Text auseinanderzusetzen, habe ich die Pledge einmal auf Deutsch übersetzt und hier veröffentlicht.

Das „Sustainable Web Manifesto“

Allerdings sehe ich auch bei The Tech Pledge noch Ergänzungs- und Änderungsbedarf. Zum Beispiel kommt mir der ökologische Aspekt von Technologie etwas zu kurz. Diese Frage steht vom Sustainable Web Manifesto viel stärker in den Blick genommen, das von der Londoner WordPress-Agentur Wholegrain Digital initiiert wurde.

Beim Sustainable Web Manifesto kommt mir aber wiederum die soziale Perspektive ein wenig zu kurz. Am Ende wird wohl die Entwicklung eines eigenen Ethik-Kodexes stehen, der genau zu mir passt. Hierfür wäre ich auch noch für Input dankbar – welche Kodizes, Selbstverpflichtungen und Erklärungen kennst du noch? Ich freue mich über Hinweise in den Kommentaren!

(Die Illustration oben stammt von Ouch.pics)

1 Kommentar zu “Moralische Fragen bei Website-Projekten und Ethik-Kodizes

  1. […] I made a German translation – see below. For more info on why I was looking into this please see this post (in German only […]

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